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1 - 0 8 - 1 3, Donnerstag:
Paradiesengel
So
lange im Paradies, wenn es das gibt, Laura; und wenn nicht dann auch.
Das
heißt das (nur ich litt).
Etwas
an Felice dachte, 2
Es
mir machte, oh wei (zweimal; gestern).
Alzheimer
ist wieder da
Midi-Demenz
(denn von Jugend kann man ja bei mir schlecht sprechen, oder der
Kollegin; wohl noch etwas jünger als ich, und halt ungebildeter).
Hunderttausendster
Seitenaufruf
Einer
fehlt noch: 99 999.
Milena
Jesenska-Polak
Kafkas
unglückliche Wiener Liebe (sie war eh verheiratet; er mit Julie
Wohryzek verlobt); hätte das die Lungenkrankheit noch aufhalten
können (sie in asozialen Verhältnissen, trotz Promi-Daddy).
Nun
neu geordnet, von Hans Gerd Koch (die Briefe).
Der
Autor, der nicht schreibt
Ist
er ein Autor?
"Charmed
Forces"
Seit
sechs Jahren treibts Nikki Charm es nur mit ihrer Freundin, dann kam
in einer Stunde ihr Lover; Krista Lane finde ich scharf.
Alk
Immer
wenn ich trank, versuchte ich abstinent zu werden.
Draußen
schneits nicht, aber der Winter naht beinahe
Noch
Sommer.
12
Uhr, 25 Grad.
Und
es wird früher dunkel, usw. Alles, was Frühherbst bedeutet
(besonders die Temperaturen, hehe).
Und
es wird heißer...
Schwimm-WM
in Barcelona läuft
Auch
die Leichtathletik-WM in Moskau beginnt bald (am 10. August).
Gefiel
mir gestern nicht...
Gestern
war das Nachmittagsschlafen nötig
Ich
halbwegs fertig, gesundete auch ohne Tabletten.
Vorgestern
auf der Arbeit hatte ich Kopfweh, merkwürdig schwül, nicht heiß,
nicht kalt, hohe Luftfeuchtigkeit (ich trank wohl zu wenig; wollte
nicht so oft aufs Klo).
Ich
will in ein Frauenloch
Eine
Scheide, Augenweide.
Alle
Tage
Scharfe
Muschis in Rückenlage.
Geht
so
Paar
Worte wie Nivea, still (immer noch).
Erreicht
13
Uhr 54: 100 003 Seitenaufrufe.
Milena
Polak
Mir
gefällt die optisch auch; nichts zum marital Status von Hans-Gerd
Koch gefunden; umtriebiger Autor und mehr, wohl ziemlich intelligent,
Mehrsprachensprecher.
Schlank
mit Aids
Verheiratet;
natürlich ein Mann.
Zwei
Männer.
Homophobie
von mir?
Nein;
ist das Benennen einer homosexuellen Ausstrahlung
Homosexuellenfeindlichkeit? Pur bestimmt nicht (Insiderwissen); sogar
in der Bild küssen sich Männer: Wowereit und andere.
Andere
Warme
Warm
ist es echt, heiß.
Ich
bin so
Do-,
do-, doof.
Ins
Spritzen geraten
Stottern,
mein ich.
Entmannter
Jungmann
Heute
klappts bestimmt! Was? Das Ficken.
Ein
älterer Boy
Jedenfalls
schwul; von der Sprachrhythmik etwas an Kafka erinnernd, den älteren
Junggesellen; war er auch schwul?
Ein
älterer Junggeselle
Blumfeld,
ein älterer Junggeselle...
Franz
Kafka in der modernen Rechtschreibung
"Blumfeld,
ein älterer Junggeselle, stieg eines Abends zu seiner Wohnung
hinauf, was eine mühselige Arbeit war, denn er wohnte im sechsten
Stock. Während des Hinaufsteigens dachte er, wie öfters in der
letzten Zeit, darin, dass dieses vollständig einsame Leben recht
lästig sei, dass er jetzt diese sechs Stockwerke förmlich im
Geheimen hinaufsteigen müsse, um oben in seinen leeren Zimmern
anzukommen, dort wieder förmlich im Geheimen den Schlafrock
anzuziehn, die Pfeife anzustecken, in der französischen Zeitschrift,
die er schon seit Jahren abonniert hatte, ein wenig zu lesen, dazu an
einem von ihm selbst bereiteten Kirschenschnaps zu nippen und
schließlich nach einer halben Stunde zu Bett zu gehn, nicht ohne
vorher das Bettzeug vollständig umordnen zu müssen, das die jeder
Belehrung unzugängliche Bedienerin immer nach ihrer Laune hinwarf.
Irgendein Begleiter, irgendein Zuschauer für diese Tätigkeiten wäre
Blumfeld sehr willkommen gewesen. Er hatte schon überlegt, ob er
sich nicht einen kleinen Hund anschaffen solle. Ein solches Tier ist
lustig und vor allem dankbar und treu; ein Kollege von Blumfeld hat
einen solchen Hund, er schließt sich niemandem an, außer seinem
Herrn, und hat er ihn ein paar Augenblicke nicht gesehn, empfängt er
ihn gleich mit großem Bellen, womit er offenbar seine Freude darüber
ausdrücken will, seinen Herrn, diesen außerordentlichen Wohltäter
wieder gefunden zu haben. Allerdings hat ein Hund auch Nachteile.
Selbst wenn er noch so reinlich gehalten wird, verunreinigt er das
Zimmer. Das ist gar nicht zu vermeiden, man kann ihn nicht jedes Mal,
ehe man ihn ins Zimmer hinein nimmt, in heißem Wasser baden, auch
würde das seine Gesundheit nicht vertragen. Unreinlichkeit in seinem
Zimmer aber verträgt wieder Blumfeld nicht, die Reinheit seines
Zimmers ist ihm etwas Unentbehrliches, mehrmals in der Woche hat er
mit der in diesem Punkte leider nicht sehr peinlichen Bedienerin
Streit. Da sie schwerhörig ist, zieht er sie gewöhnlich am Arm zu
jenen Stellen des Zimmers, wo er an der Reinlichkeit etwas
auszusetzen hat. Durch diese Strenge hat er es erreicht, dass die
Ordnung im Zimmer annähernd seinen Wünschen entspricht. Mit der
Einführung eines Hundes würde er aber geradezu den bisher so
sorgfältig abgewehrten Schmutz freiwillig in sein Zimmer leiten.
Flöhe, die ständigen Begleiter der Hunde, würden sich einstellen.
Waren aber einmal Flöhe da, dann war auch der Augenblick nicht mehr
fern, an dem Blumfeld sein behagliches Zimmer dem Hund überlassen
und ein anderes Zimmer suchen würde. Unreinlichkeit war aber nur ein
Nachteil der Hunde. Hunde werden auch krank und Hundekrankheiten
versteht doch eigentlich niemand. Dann hockt dieses Tier in einem
Winkel oder hinkt herum, winselt, hüstelt, würgt an irgendeinem
Schmerz, man umwickelt es mit einer Decke, pfeift ihm etwas vor,
schiebt ihm Milch hin, kurz, pflegt es in der Hoffnung, dass es sich,
wie es ja auch möglich ist, um ein vorübergehendes Leiden handelt,
indessen aber kann es eine ernsthafte, widerliche und ansteckende
Krankheit sein. Und selbst wenn der Hund gesund bleibt, so wird er
doch später einmal alt, man hat sich nicht entschließen können,
das treue Tier rechtzeitig wegzugeben, und es kommt dann die Zeit, wo
einen das eigene Alter aus den tränenden Hundeaugen anschaut. Dann
muss man sich aber mit dem halbblinden, lungenschwachen, vor Fett
fast unbeweglichen Tier quälen und damit die Freuden, die der Hund
früher gemacht hat, teuer bezahlen. So gern Blumfeld einen Hund
jetzt hätte, so will er doch lieber noch dreißig Jahre allein die
Treppe hinaufsteigen, statt später von einem solchen alten Hund
belästigt zu werden, der, noch lauter seufzend als er selbst, sich
neben ihm von Stufe zu Stufe hinaufschleppt.
So
wird also Blumfeld doch allein bleiben, er hat nicht etwa die Gelüste
einer alten Jungfer, die irgendein untergeordnetes lebendiges Wesen
in ihrer Nähe haben will, das sie beschützen darf, mit dem sie
zärtlich sein kann, welches sie immerfort bedienen will, so dass ihr
also zu diesem Zweck eine Katze, ein Kanarienvogel oder selbst
Goldfische genügen. Und kann es das nicht sein, so ist sie sogar mit
Blumen vor dem Fenster zufrieden. Blumfeld dagegen will nur einen
Begleiter haben, ein Tier, um das er sich nicht viel kümmern muss,
dem ein gelegentlicher Fußtritt nicht schadet, das im Notfall auch
auf der Gasse übernachten kann, das aber, wenn es Blumfeld danach
verlangt, gleich mit Bellen, Springen, Hände lecken zur Verfügung
steht. Etwas Derartiges will Blumfeld, da er es aber, wie er
einsieht, ohne allzu große Nachteile nicht haben kann, so verzichtet
er darauf, kommt aber seiner gründlichen Natur entsprechend von Zeit
zu Zeit, zum Beispiel an diesem Abend, wieder auf die gleichen
Gedanken zurück.
Als
er oben vor seiner Zimmertür den Schlüssel aus der Tasche holt,
fällt ihm ein Geräusch auf, das aus seinem Zimmer kommt. Ein
eigentümliches klapperndes Geräusch, sehr lebhaft aber, sehr
regelmäßig. Da Blumfeld gerade an Hunde gedacht hat, erinnert es
ihn an das Geräusch, das Pfoten hervorbringen, wenn sie abwechselnd
auf den Boden schlagen. Aber Pfoten klappern nicht, es sind nicht
Pfoten. Er schließt eilig die Tür auf und dreht das elektrische
Licht auf. Auf diesen Anblick war er nicht vorbereitet. Das ist ja
Zauberei, zwei kleine, weiße blaugestreifte Zelluloidbälle springen
auf dem Parkett nebeneinander auf und ab, schlägt der eine auf den
Boden, ist der andere in der Höhe, und unermüdlich führen sie ihr
Spiel aus. Einmal im Gymnasium hat Blumfeld bei einem bekannten
elektrischen Experiment kleine Kügelchen ähnlich springen sehn,
diese aber sind verhältnismäßig große Bälle, springen im freien
Zimmer und es wird kein elektrisches Experiment angestellt. Blumfeld
bückt sich zu ihnen hinab, um sie genauer anzusehen. Es sind ohne
Zweifel gewöhnliche Bälle, sie enthalten wahrscheinlich in ihrem
Innern noch einige kleinere Bälle und diese erzeugen das klappernde
Geräusch. Blumfeld greift in die Luft, um festzustellen, ob sie
nicht etwa an irgendwelchen Fäden hängen, nein, sie bewegen sich
ganz selbständig. Schade, dass Blumfeld nicht ein kleines Kind ist,
zwei solche Bälle wären für ihn eine freudige Überraschung
gewesen, während jetzt das Ganze einen mehr unangenehmen Eindruck
auf ihn macht. Es ist doch nicht ganz wertlos, als ein unbeachteter
Junggeselle nur im Geheimen zu leben, jetzt hat irgend jemand,
gleichgültig wer, dieses Geheimnis gelüftet und ihm diese zwei
komischen Bälle hereingeschickt.
Er
will einen fassen, aber sie weichen vor ihm zurück und locken ihn im
Zimmer hinter sich her. Es ist doch zu dumm, denkt er, so hinter den
Bällen herzulaufen, bleibt stehen und sieht ihnen nach, wie sie, da
die Verfolgung aufgegeben scheint, auch auf der gleichen Stelle
bleiben. Ich werde sie aber doch zu fangen suchen, denkt er dann
wieder und eilt zu ihnen. Sofort flüchten sie sich, aber Blumfeld
drängt sie mit auseinander gestellten Beinen in eine Zimmerecke, und
vor dem Koffer, der dort steht, gelingt es ihm, einen Ball zu fangen.
Es ist ein kühler, kleiner Ball und dreht sich in seiner Hand,
offenbar begierig zu entschlüpfen. Und auch der andere Ball, als
sehe er die Not seines Kameraden, springt höher als früher, und
dehnt die Sprünge, bis er Blumfelds Hand berührt. Er schlägt gegen
die Hand, schlägt in immer schnelleren Sprüngen, ändert die
Angriffspunkte, springt dann, da er gegen die Hand, die den Ball ganz
umschließt, nichts ausrichten kann, noch höher und will
wahrscheinlich Blumfelds Gesicht erreichen. Blumfeld könnte auch
diesen Ball fangen und beide irgendwo einsperren, aber es scheint ihm
im Augenblick zu entwürdigend, solche Maßnahmen gegen zwei kleine
Bälle zu ergreifen. Es ist doch auch ein Spaß, zwei solche Bälle
zu besitzen, auch werden sie bald genug müde werden, unter einen
Schrank rollen und Ruhe geben. Trotz dieser Überlegung schleudert
aber Blumfeld in einer Art Zorn den Ball zu Boden, es ist ein Wunder,
dass hierbei die schwache, fast durchsichtige Zelluloidhülle nicht
zerbricht. Ohne Übergang nehmen die zwei Bälle ihre frühern
niedrigen, gegenseitig abgestimmten Sprünge wieder auf.
Blumfeld
entkleidet sich ruhig, ordnet die Kleider im Kasten, er pflegt immer
genau nachzusehn, ob die Bedienerin alles in Ordnung zurückgelassen
hat. Ein- oder zweimal schaut er über die Schulter weg nach den
Bällen, die unverfolgt jetzt sogar ihn zu verfolgen scheinen, sie
sind ihm nachgerückt und springen nun knapp hinter ihm. Blumfeld
zieht den Schlafrock an und will zu der gegenüberliegenden Wand, um
eine der Pfeifen zu holen, die dort in einem Gestell hängen.
Unwillkürlich schlägt er, ehe er sich umdreht, mit einem Fuß nach
hinten aus, die Bälle aber verstehen es auszuweichen und werden
nicht getroffen. Als er nun um die Pfeife geht, schließen sich ihm
die Bälle gleich an, er schlurft mit den Pantoffeln, macht
unregelmäßige Schritte, aber doch folgt jedem Auftreten fast ohne
Pause ein Aufschlag der Bälle, sie halten mit ihm Schritt. Blumfeld
dreht sich unerwartet um, um zu sehn, wie die Bälle das zustande
bringen. Aber kaum hat er sich umgedreht, beschreiben die Bälle
einen Halbkreis und sind schon wieder hinter ihm und das wiederholt
sich, so oft er sich umdreht. Wie untergeordnete Begleiter, suchen
sie es zu vermeiden, vor Blumfeld sich aufzuhalten. Bis jetzt haben
sie es scheinbar nur gewagt, um sich ihm vorzustellen, jetzt aber
haben sie bereits ihren Dienst angetreten.
Bisher
hat Blumfeld immer in allen Ausnahmsfällen, wo seine Kraft nicht
hinreichte, um die Lage zu beherrschen, das Aushilfsmittel gewählt,
so zu tun, als bemerke er nichts. Es hat oft geholfen und meistens
die Lage wenigstens verbessert. Er verhält sich also auch jetzt so,
steht vor dem Pfeifengestell, wählt mit aufgestülpten Lippen eine
Pfeife, stopft sie besonders gründlich aus dem bereitgestellten
Tabaksbeutel und lässt unbekümmert hinter sich die Bälle ihre
Sprünge machen. Nur zum Tisch zu gehn zögert er, den Gleichtakt der
Sprünge und seiner eigenen Schritte zu hören, schmerzt ihn fast. So
steht er, stopft die Pfeife unnötig lange und prüft die Entfernung,
die ihn vom Tische trennt. Endlich aber überwindet er seine Schwäche
und legt die Strecke unter solchem Fußstampfen zurück, dass er die
Bälle gar nicht hört. Als er sitzt, springen sie allerdings hinter
seinem Sessel wieder vernehmlich wie früher.
Über
dem Tisch ist in Griffnähe an der Wand ein Brett angebracht, auf dem
die Flasche mit dem Kirschenschnaps von kleinen Gläschen umgeben
steht. Neben ihr liegt ein Stoß von Heften der französischen
Zeitschrift. (Gerade heute ist ein neues Heft gekommen und Blumfeld
holt es herunter. Den Schnaps vergisst er ganz, er hat selbst das
Gefühl, als ob er heute nur aus Trost an seinen gewöhnlichen
Beschäftigungen sich nicht hindern ließe, auch ein wirkliches
Bedürfnis zu lesen hat er nicht. Er schlägt das Heft, entgegen
seiner sonstigen Gewohnheit, Blatt für Blatt sorgfältig zu wenden,
an einer beliebigen Stelle auf und findet dort ein großes Bild. Er
zwingt sich es genauer anzusehn. Es stellt die Begegnung zwischen dem
Kaiser von Russland und dem Präsidenten von Frankreich dar. Sie
findet auf einem Schiff statt. Ringsherum bis in die Ferne sind noch
viele andere Schiffe, der Rauch ihrer Schornsteine verflüchtigt sich
im hellen Himmel. Beide, der Kaiser und der Präsident, sind eben in
langen Schritten einander entgegengeeilt und fassen einander gerade
bei der Hand. Hinter dem Kaiser wie hinter dem Präsidenten stehen je
zwei Herren. Gegenüber den freudigen Gesichtern des Kaisers und des
Präsidenten sind die Gesichter der Begleiter sehr ernst, die Blicke
jeder Begleitgruppe vereinigen sich auf ihren Herrscher. Tiefer
unten, der Vorgang spielt sich offenbar auf dem höchsten Deck des
Schiffes ab, stehen vom Bildrand abgeschnitten lange Reihen
salutierender Matrosen. Blumfeld betrachtet allmählich das Bild mit
mehr Teilnahme, hält es dann ein wenig entfernt und sieht es so mit
blinzelnden Augen an. Er hat immer viel Sinn für solche großartigen
Szenen gehabt. Dass die Hauptpersonen so unbefangen, herzlich und
leichtsinnig einander die Hände drücken, findet er sehr
wahrheitsgetreu. Und ebenso richtig ist es, dass die Begleiter -
übrigens natürlich sehr hohe Herren, deren Namen unten verzeichnet
sind - in ihrer Haltung den Ernst des historischen Augenblicks
wahren.)
Und
statt alles, was er benötigt, herunterzuholen, sitzt Blumfeld still
und blickt in den noch immer nicht entzündeten Pfeifenkopf. Er ist
auf der Lauer, plötzlich, ganz unerwartet weicht sein Erstarren und
er dreht sich in einem Ruck mit dem Sessel um. Aber auch die Bälle
sind entsprechend wachsam oder folgen gedankenlos dem sie
beherrschenden Gesetz, gleichzeitig mit Blumfelds Umdrehung verändern
auch sie ihren Ort und verbergen sich hinter seinem Rücken. Nun
sitzt Blumfeld mit dem Rücken zum Tisch, die kalte Pfeife in der
Hand. Die Bälle springen jetzt unter dem Tisch und sind, da dort ein
Teppich ist, nur wenig zu hören. Das ist ein großer Vorteil; es
gibt nur ganz schwache dumpfe Geräusche, man muss sehr aufmerken, um
sie mit dem Gehör noch zu erfassen. Blumfeld allerdings ist sehr
aufmerksam und hört sie genau. Aber das ist nur jetzt so, in einem
Weilchen wird er sie wahrscheinlich gar nicht mehr hören. Dass sie
sich auf Teppichen so wenig bemerkbar machen können, scheint
Blumfeld eine große Schwäche der Bälle zu sein. Man muss ihnen nur
einen oder noch besser zwei Teppiche unterschieben und sie sind fast
machtlos. Allerdings nur für eine bestimmte Zeit, und außerdem
bedeutet schon ihr Dasein eine gewisse Macht.
Jetzt
könnte Blumfeld einen Hund gut brauchen, so ein junges, wildes Tier
würde mit den Bällen bald fertig werden; er stellt sich vor, wie
dieser Hund mit den Pfoten nach ihnen hascht, wie er sie von ihrem
Posten vertreibt, wie er sie kreuz und quer durchs Zimmer jagt und
sie schließlich zwischen seine Zähne bekommt. Es ist leicht
möglich, dass sich Blumfeld in nächster Zeit einen Hund anschafft.
Vorläufig
aber müssen die Bälle nur Blumfeld fürchten und er hat jetzt keine
Lust sie zu zerstören, vielleicht fehlt es ihm auch nur an
Entschlusskraft dazu. Er kommt abends müde aus der Arbeit und nun,
wo er Ruhe nötig hat, wird ihm diese Überraschung bereitet. Er
fühlt erst jetzt, wie müde er eigentlich ist. Zerstören wird er ja
die Bälle gewiss, und zwar in allernächster Zeit, aber vorläufig
nicht und wahrscheinlich erst am nächsten Tag. Wenn man das Ganze
unvoreingenommen ansieht, führen sich übrigens die Bälle genügend
bescheiden auf. Sie könnten beispielsweise von Zeit zu Zeit
vorspringen, sich zeigen und wieder an ihren Ort zurückkehren, oder
sie könnten höher springen, um an die Tischplatte zu schlagen und
sich für die Dämpfung durch den Teppich so entschädigen. Aber das
tun sie nicht, sie wollen Blumfeld nicht unnötig reizen, sie
beschränken sich offenbar nur auf das unbedingt Notwendige.
Allerdings
genügt auch dieses Notwendige, um Blumfeld den Aufenthalt beim Tisch
zu verleiden. Er sitzt erst ein paar Minuten dort und denkt schon
daran, schlafen zu gehn. Einer der Beweggründe dafür ist auch der,
dass er hier nicht rauchen kann, denn er hat die Zündhölzer auf das
Nachttischchen gelegt. Er müsste also diese Zündhölzchen holen,
wenn er aber einmal beim Nachttisch ist, ist es wohl besser schon
dort zu bleiben und sich niederzulegen. Er hat hierbei auch noch
einen Hintergedanken, er glaubt nämlich, dass die Bälle, in ihrer
blinden Sucht, sich immer hinter ihm zu halten, auf das Bett springen
werden und dass er sie dort, wenn er sich dann niederlegt, mit oder
ohne Willen zerdrücken wird. Den Einwand, dass etwa auch noch die
Reste der Bälle springen könnten, lehnt er ab. Auch das
Ungewöhnliche muss Grenzen haben. Ganze Bälle springen auch sonst,
wenn auch nicht ununterbrochen, Bruchstücke von Bällen dagegen
springen niemals, und werden also auch hier nicht springen.
'Auf!'
ruft er durch diese Überlegung fast mutwillig gemacht und stampft
wieder mit den Bällen hinter sich zum Bett. Seine Hoffnung scheint
sich zu bestätigen, wie er sich absichtlich ganz nahe ans Bett
stellt, springt sofort ein Ball auf das Bett hinauf. Dagegen tritt
das Unerwartete ein, dass der andere Ball sich unter das Bett begibt.
An die Möglichkeit, dass die Bälle auch unter dem Bett springen
könnten, hat Blumfeld gar nicht gedacht. Er ist über den einen Ball
entrüstet, trotzdem er fühlt, wie ungerecht das ist, denn durch das
Springen unter dem Bett erfüllt der Ball seine Aufgabe vielleicht
noch besser als der Ball auf dem Bett. Nun kommt alles darauf an, für
welchen Ort sich die Bälle entscheiden, denn, dass sie lang getrennt
arbeiten könnten, glaubt Blumfeld nicht. Und tatsächlich springt im
nächsten Augenblick auch der untere Ball auf das Bett hinauf. Jetzt
habe ich sie, denkt Blumfeld, heiß vor Freude, und reißt den
Schlafrock vom Leib, um sich ins Bett zu werfen. Aber gerade springt
der gleiche Ball wieder unter das Bett. Übermäßig enttäuscht
sinkt Blumfeld förmlich zusammen. Der Ball hat sich wahrscheinlich
oben nur umgesehn und es hat ihm nicht gefallen. Und nun folgt ihm
auch der andere und bleibt natürlich unten, denn unten ist es
besser. 'Nun werde ich diese Trommler die ganze Nacht hier haben',
denkt Blumfeld, beißt die Lippen zusammen und nickt mit dem Kopf.
Er
ist traurig, ohne eigentlich zu wissen, womit ihm die Bälle in der
Nacht schaden könnten. Sein Schlaf ist ausgezeichnet, er wird das
kleine Geräusch leicht überwinden. Um dessen ganz sicher zu sein,
schiebt er ihnen entsprechend der gewonnenen Erfahrung zwei Teppiche
unter. Es ist, als hätte er einen kleinen Hund, den er weich betten
will. Und als wären auch die Bälle müde und schläfrig, sind auch
ihre Sprünge niedriger und langsamer als früher. Wie Blumfeld vor
dem Bett kniet und mit der Nachtlampe hinunter leuchtet, glaubt er
manchmal, dass die Bälle auf den Teppichen für immer liegenbleiben
werden, so schwach fallen sie, so langsam rollen sie ein Stückchen
weit. Dann allerdings erheben sie sich wieder pflichtgemäß. Es ist
aber leicht möglich, dass Blumfeld, wenn er früh unter das Bett
schaut, dort zwei stille harmlose Kinderbälle finden wird.
Aber
sie scheinen die Sprünge nicht einmal bis zum Morgen aushalten zu
können, denn schon als Blumfeld im Bett liegt, hört er sie gar
nicht mehr. Er strengt sich an, etwas zu hören, lauscht aus dem Bett
vorgebeugt - kein Laut. So stark können die Teppiche nicht wirken,
die einzige Erklärung ist, dass die Bälle nicht mehr springen,
entweder können sie sich von den weichen Teppichen nicht genügend
abstoßen und haben deshalb das Springen vorläufig aufgegeben, oder
aber, was das Wahrscheinlichere ist, sie werden niemals mehr
springen. Blumfeld könnte aufstehn und nachschauen, wie es sich
eigentlich verhält, aber in seiner Zufriedenheit darüber, dass
endlich Ruhe ist, bleibt er lieber liegen, er will an die ruhig
gewordenen Bälle nicht einmal mit den Blicken rühren. Sogar auf das
Rauchen verzichtet er gern, dreht sich zur Seite und schläft gleich
ein.
Doch
bleibt er nicht ungestört; wie sonst immer, ist sein Schlaf auch
diesmal traumlos, aber sehr unruhig. Unzählige Male in der Nacht
wird er durch die Täuschung aufgeschreckt, als ob jemand an die Tür
klopfe. Er weiß auch bestimmt, dass niemand klopft; wer wollte in
der Nacht klopfen und an seine, eines einsamen Junggesellen Tür.
Obwohl er es aber bestimmt weiß, fährt er doch immer wieder auf und
blickt einen Augenblick lang gespannt zur Türe, den Mund offen, die
Augen aufgerissen und die Haarsträhnen schütteln sich auf seiner
feuchten Stirn. Er macht Versuche zu zählen, wie oft er geweckt
wird, aber besinnungslos von den ungeheuern Zahlen, die sich ergeben,
fällt er wieder in den Schlaf zurück. Er glaubt zu wissen, woher
das Klopfen stammt, es wird nicht an der Tür ausgeführt, sondern
ganz anderswo, aber er kann sich in der Befangenheit des Schlafes
nicht erinnern, worauf sich seine Vermutungen gründen. Er weiß nur,
dass viele winzige widerliche Schläge sich sammeln, ehe sie das
große starke Klopfen ergeben. Er würde alle Widerlichkeit der
kleinen Schläge erdulden wollen, wenn er das Klopfen vermeiden
könnte, aber es ist aus irgendeinem Grunde zu spät, er kann hier
nicht eingreifen, es ist versäumt, er hat nicht einmal Worte, nur
zum stummen Gähnen öffnet sich sein Mund, und wütend darüber
schlägt er das Gesicht in die Kissen. So vergeht die Nacht.
Am
Morgen weckt ihn das Klopfen der Bedienerin, mit einem Seufzer der
Erlösung begrüßt er das sanfte Klopfen, über dessen Unhörbarkeit
er sich immer beklagt hat, und will schon 'Herein' rufen, da hört er
noch ein anderes lebhaftes, zwar schwaches, aber förmlich
kriegerisches Klopfen. Es sind die Bälle unter dem Bett. Sind sie
aufgewacht, haben sie im Gegensatz zu ihm über die Nacht neue Kräfte
gesammelt? 'Gleich', ruft Blumfeld der Bedienerin zu, springt aus dem
Bett, aber vorsichtigerweise so, dass er die Bälle im Rücken
behält, wirft sich, immer den Rücken ihnen zugekehrt, auf den
Boden, blickt mit verdrehtem Kopf zu den Bällen und - möchte fast
fluchen. Wie Kinder, die in der Nacht die lästigen Decken von sich
schieben, haben die Bälle wahrscheinlich durch kleine, während der
ganzen Nacht fortgesetzte Zuckungen die Teppiche so weit unter dem
Bett hervor geschoben, dass sie selbst wieder das freie Parkett unter
sich haben und Lärm machen können. 'Zurück auf die Teppiche', sagt
Blumfeld mit bösem Gesicht, und erst, als die Bälle dank der
Teppiche wieder still geworden sind, ruft er die Bedienerin herein.
Während diese, ein fettes, stumpfsinniges, immer steif aufrecht
gehendes Weib, das Frühstück auf den Tisch stellt und die paar
Handreichungen macht, die nötig sind, steht Blumfeld unbeweglich im
Schlafrock bei seinem Bett, um die Bälle unten festzuhalten. Er
folgt der Bedienerin mit den Blicken, um festzustellen, ob sie etwas
merkt. Bei ihrer Schwerhörigkeit ist das sehr unwahrscheinlich und
Blumfeld schreibt es seiner durch den schlechten Schlaf erzeugten
Überreiztheit zu, wenn er zu sehen glaubt, dass die Bedienerin doch
hier und da stockt, sich an irgendeinem Möbel festhält und mit
hochgezogenen Brauen horcht. Er wäre glücklich, wenn er die
Bedienerin dazu bringen könnte, ihre Arbeit ein wenig zu
beschleunigen, aber sie ist fast langsamer als sonst. Umständlich
belädt sie sich mit Blumfelds Kleidern und Stiefeln und zieht damit
auf den Gang, lange bleibt sie weg, eintönig und ganz vereinzelt
klingen die Schläge herüber, mit denen sie draußen die Kleider
bearbeitet. Und während dieser ganzen Zeit muss Blumfeld auf dem
Bett ausharren, darf sich nicht rühren, wenn er nicht die Bälle
hinter sich herziehen will, muss den Kaffee, den er so gern möglichst
warm trinkt, auskühlen lassen und kann nichts anderes tun, als den
herabgelassenen Fenstervorhang anstarren, hinter dem der Tag trübe
heran dämmert. Endlich ist die Bedienerin fertig, wünscht einen
guten Morgen und will schon gehn. Aber ehe sie sich endgültig
entfernt, bleibt sie noch bei der Tür stehn, bewegt ein wenig die
Lippen und sieht Blumfeld mit langem Blicke an. Blumfeld will sie
schon zur Rede stellen, da geht sie schließlich. Am liebsten möchte
Blumfeld die Tür aufreißen und ihr nachschreien, was für ein
dummes, altes, stumpfsinniges Weib sie ist. Als er aber darüber
nachdenkt, was er gegen sie eigentlich einzuwenden hat, findet er nur
den Widersinn, dass sie zweifellos nichts bemerkt hat und sich doch
den Anschein geben wollte, als hätte sie etwas bemerkt. Wie verwirrt
seine Gedanken sind! Und das nur von einer schlecht durchschlafenen
Nacht! Für den schlechten Schlaf findet er eine kleine Erklärung
darin, dass er gestern Abend von seinen Gewohnheiten abgewichen ist,
nicht geraucht und nicht Schnaps getrunken hat. Wenn ich einmal, und
das ist das Endergebnis seines Nachdenkens, nicht rauche und nicht
Schnaps trinke, schlafe ich schlecht.
Er
wird von jetzt ab mehr auf sein Wohlbefinden achten, und beginnt
damit, dass er aus seiner Hausapotheke, die über dem Nachttischchen
hängt, Watte nimmt und zwei Wattekügelchen sich in die Ohren
stopft. Dann steht er auf und macht einen Probeschritt. Die Bälle
folgen zwar, aber er hört sie fast nicht, noch ein Nachschub von
Watte macht sie ganz unhörbar. Blumfeld führt noch einige Schritte
aus, es geht ohne besondere Unannehmlichkeit. Jeder ist für sich,
Blumfeld wie die Bälle, sie sind zwar aneinander gebunden, aber sie
stören einander nicht. Nur als Blumfeld sich einmal rascher umwendet
und ein Ball die Gegenbewegung nicht rasch genug machen kann, stößt
Blumfeld mit dem Knie an ihn. Es ist der einzige Zwischenfall, im
übrigen trinkt Blumfeld ruhig den Kaffee, er hat Hunger, als hätte
er in dieser Nacht nicht geschlafen, sondern einen langen Weg
gemacht, wäscht sich mit kaltem, ungemein erfrischendem Wasser und
kleidet sich an. Bisher hat er die Vorhänge nicht hochgezogen,
sondern ist aus Vorsicht lieber im Halbdunkel geblieben, für die
Bälle braucht er keine fremden Augen. Aber als er jetzt zum Weggehn
bereit ist, muss er die Bälle für den Fall, dass sie es wagen
sollten - er glaubt es nicht - ihm auch auf die Gasse zu folgen,
irgendwie versorgen. Er hat dafür einen guten Einfall, er öffnet
den großen Kleiderkasten und stellt sich mit dem Rücken gegen ihn.
Als hätten die Bälle eine Ahnung dessen, was beabsichtigt wird,
hüten sie sich vor dem Inneren des Kastens, jedes Plätzchen, das
zwischen Blumfeld und dem Kasten bleibt, nützen sie aus, springen,
wenn es nicht anders geht, für einen Augenblick in den Kasten,
flüchten sich aber vor dem Dunkel gleich wieder hinaus, über die
Kante weiter in den Kasten sind sie gar nicht zu bringen, lieber
verletzen sie ihre Pflicht und halten sich fast zur Seite Blumfelds.
Aber ihre kleinen Listen sollen ihnen nichts helfen, denn jetzt
steigt Blumfeld selbst rücklings in den Kasten und nun müssen sie
allerdings folgen. Damit ist aber auch über sie entschieden, denn
auf dem Kastenboden liegen verschiedene kleinere Gegenstände, wie
Stiefel, Schachteln, kleine Koffer, die alle zwar - jetzt bedauert es
Blumfeld - wohl geordnet sind, aber doch die Bälle sehr behindern.
Und als nun Blumfeld, der inzwischen die Tür des Kastens fast
zugezogen hat, mit einem großen Sprung, wie er ihn schon seit Jahren
nicht ausgeführt hat, den Kasten verlässt, die Tür zudrückt und
den Schlüssel umdreht, sind die Bälle eingesperrt. 'Das ist also
gelungen', denkt Blumfeld und wischt sich den Schweiß vom Gesicht.
Wie die Bälle in dem Kasten lärmen! Es macht den Eindruck, als
wären sie verzweifelt. Blumfeld dagegen ist sehr zufrieden. Er
verlässt das Zimmer und schon der öde Korridor wirkt wohltuend auf
ihn ein. Er befreit die Ohren von der Watte und die vielen Geräusche
des erwachenden Hauses entzücken ihn. Menschen sieht man nur wenig,
es ist noch sehr früh.
Unten
im Flur vor der niedrigen Tür, durch die man in die Kellerwohnung
der Bedienerin kommt, steht ihr kleiner zehnjähriger Junge. Ein
Ebenbild seiner Mutter, keine Hässlichkeit der Alten ist in diesem
Kindergesicht vergessen worden. Krummbeinig, die Hände in den
Hosentaschen steht er dort und faucht, weil er schon jetzt einen
Kropf hat und nur schwer Atem holen kann. Während aber Blumfeld
sonst, wenn ihm der Junge in den Weg kommt, einen eiligeren Schritt
einschlägt, um sich dieses Schauspiel möglichst zu ersparen, möchte
er heute bei ihm fast stehen bleiben wollen. Wenn der Junge auch von
diesem Weib in die Welt gesetzt ist und alle Zeichen seines Ursprungs
trägt, so ist er vorläufig doch ein Kind, in diesem unförmigen
Kopf sind doch Kindergedanken, wenn man ihn verständig ansprechen
und etwas fragen wird, so wird er wahrscheinlich mit heller Stimme,
unschuldig und ehrerbietig antworten, und man wird nach einiger
Überwindung auch diese Wangen streicheln können. So denkt Blumfeld,
geht aber doch vorüber. Auf der Gasse merkt er, dass das Wetter
freundlicher ist, als er in seinem Zimmer gedacht hat. Die
Morgennebel teilen sich und Stellen blauen, von kräftigem Wind
gefegten Himmels erscheinen. Blumfeld verdankt es den Bällen, dass
er viel früher aus seinem Zimmer herausgekommen ist als sonst, sogar
die Zeitung hat er ungelesen auf dem Tisch vergessen, jedenfalls hat
er dadurch viel Zeit gewonnen und kann jetzt langsam gehn. Es ist
merkwürdig, wie wenig Sorge ihm die Bälle machen, seitdem er sie
von sich getrennt hat. Solange sie hinter ihm her waren, konnte man
sie für etwas zu ihm Gehöriges halten, für etwas, das bei
Beurteilung seiner Person irgendwie mit herangezogen werden musste,
jetzt sie nur ein Spielzeug zu Hause im Kasten. Und es fällt hierbei
Blumfeld ein, dass er die Bälle vielleicht am besten dadurch
unschädlich machen könnte, dass er sie ihrer eigentlichen
Bestimmung zuführt. Dort im Flur steht noch der Junge, Blumfeld wird
ihm die Bälle schenken, und zwar nicht etwa borgen, sondern
ausdrücklich schenken, was gewiss gleichbedeutend ist mit dem Befehl
zu ihrer Vernichtung. Und selbst wenn sie heil bleiben sollten, so
werden sie doch in den Händen des Jungen noch weniger bedeuten als
im Kasten, das ganze Haus wird sehn, wie der Junge mit ihnen spielt,
andere Kinder werden sich anschließen, die allgemeine Meinung, dass
es sich hier um Spielbälle und nicht etwa um Lebensbegleiter
Blumfelds handelt, wird unerschütterlich und unwiderstehlich werden.
Blumfeld läuft ins Haus zurück. Gerade ist der Junge die
Kellertreppe hinuntergestiegen und will unten die Tür öffnen.
Blumfeld muss den Jungen also rufen und seinen Namen aussprechen, der
lächerlich ist wie alles, was mit dem Jungen in Verbindung gebracht
wird. 'Alfred, Alfred', ruft er. Der Junge zögert lange. 'Also komm
doch', ruft Blumfeld, 'ich gebe dir etwas.' Die kleinen zwei Mädchen
des Hausmeisters sind aus der gegenüberliegenden Tür herausgekommen
und stellen sich neugierig rechts und links von Blumfeld auf. Sie
fassen viel schneller auf als der Junge und verstehen nicht, warum er
nicht gleich kommt. Sie winken ihm, lassen dabei Blumfeld nicht aus
den Augen, können aber nicht ergründen, was für ein Geschenk
Alfred erwartet. Die Neugierde plagt sie und sie hüpfen von einem
Fuß auf den andern. Blumfeld lacht sowohl über sie als über den
Jungen. Dieser scheint sich endlich alles zurechtgelegt zu haben und
steigt steif und schwerfällig die Treppe hinauf. Nicht einmal im
Gang verleugnet er seine Mutter, die übrigens unten in der Kellertür
erscheint. Blumfeld schreit überlaut, damit ihn auch die Bedienerin
versteht und die Ausführung seines Auftrags, falls es nötig sein
sollte, überwacht. 'Ich habe oben', sagt Blumfeld, 'in meinem Zimmer
zwei schöne Bälle. Willst du sie haben?' Der Junge verzieht bloß
den Mund, er weiß nicht, wie er sich verhalten soll, er dreht sich
um und sieht fragend zu seiner Mutter hinunter. Die Mädchen aber
fangen gleich an, um Blumfeld herum zu springen und bitten um die
Bälle. 'Ihr werdet auch mit ihnen spielen dürfen', sagt Blumfeld zu
ihnen, wartet aber auf die Antwort des Jungen. Er könnte die Bälle
gleich den Mädchen schenken, aber sie scheinen ihm zu leichtsinnig
und er hat jetzt mehr Vertrauen zu dem Jungen. Dieser hat sich
inzwischen bei seiner Mutter, ohne dass Worte gewechselt worden
wären, Rat geholt und nickt auf eine neuerliche Frage Blumfelds
zustimmend. 'Dann gib Acht', sagt Blumfeld, der gern übersieht, dass
er hier für sein Geschenk keinen Dank bekommen wird, 'den Schlüssel
zu meinem Zimmer hat deine Mutter, den musst du dir von ihr
ausborgen, hier gebe ich dir den Schlüssel von meinem Kleiderkasten
und in diesem Kleiderkasten sind die Bälle. Sperr den Kasten und das
Zimmer wieder vorsichtig zu. Mit den Bällen aber kannst du machen
was du willst und musst sie nicht wieder zurückbringen. Hast du mich
verstanden?' Der Junge hat aber leider nicht verstanden. Blumfeld hat
diesem grenzenlos begriffsstutzigen Wesen alles besonders klarmachen
wollen, hat aber gerade infolge dieser Absicht alles zu oft
wiederholt, zu oft abwechselnd von Schlüsseln, Zimmer und Kasten
gesprochen, und der Junge starrt ihn infolgedessen nicht wie seinen
Wohltäter, sondern wie einen Versucher an. Die Mädchen allerdings
haben gleich alles begriffen, drängen sich an Blumfeld und strecken
die Hände nach dem Schlüssel aus. 'Wartet doch', sagt Blumfeld und
ärgert sich schon über alle. Auch vergeht die Zeit, er kann sich
nicht mehr lange aufhalten. Wenn doch die Bedienerin endlich sagen
wollte, dass sie ihn verstanden hat und alles richtig für den Jungen
besorgen wird. Statt dessen steht sie aber noch immer unten an der
Tür, lächelt geziert wie verschämte Schwerhörige und glaubt
vielleicht, dass Blumfeld oben über ihren Jungen in plötzliches
Entzücken geraten sei und ihm das kleine Einmaleins abhöre.
Blumfeld wieder kann aber doch nicht die Kellertreppe hinuntersteigen
und der Bedienerin seine Bitte ins Ohr schreien, ihr Junge möge ihn
doch um Gottes Barmherzigkeit Willen von den Bällen befreien. Er hat
sich schon genug bezwungen, wenn er den Schlüssel zu seinem
Kleiderkasten für einen ganzen Tag dieser Familie anvertrauen will.
Nicht um sich zu schonen, reicht er hier den Schlüssel dem Jungen,
statt ihn selbst hinaufzuführen und ihm dort die Bälle zu
übergeben. Aber er kann doch nicht oben die Bälle zuerst weg
schenken und sie dann, wie es voraussichtlich geschehen müsste, dem
Jungen gleich wieder nehmen, indem er sie als Gefolge hinter sich
herzieht. 'Du verstehst mich also noch immer nicht?' fragt Blumfeld
fast wehmütig, nachdem er zu einer neuen Erklärung angesetzt, sie
aber unter dem leeren Blick des Jungen gleich wieder abgebrochen hat.
Ein solcher leerer Blick macht einen wehrlos. Er könnte einen dazu
verführen, mehr zu sagen als man will, nur damit man diese Leere mit
Verstand erfülle.
'Wir
werden ihm die Bälle holen', rufen da die Mädchen. Sie sind schlau,
sie haben erkannt, dass sie die Bälle nur durch irgendeine
Vermittlung des Jungen erhalten können, dass sie aber auch noch
diese Vermittlung selbst bewerkstelligen müssen. Aus dem Zimmer des
Hausmeisters schlägt eine Uhr und mahnt Blumfeld zur Eile. 'Dann
nehmt also den Schlüssel', sagt Blumfeld, und der Schlüssel wird
ihm mehr aus der Hand gezogen, als dass er ihn hergibt. Die
Sicherheit, mit der er den Schlüssel dem Jungen gegeben hätte, wäre
unvergleichlich größer gewesen. 'Den Schlüssel zum Zimmer holt
unten von der Frau', sagt Blumfeld noch, 'und wenn ihr mit den Bällen
zurückkommt, müsst ihr beide Schlüssel der Frau geben.' 'Ja, ja',
rufen die Mädchen und laufen die Treppe hinunter. Sie wissen alles,
durchaus alles, und als sei Blumfeld von der Begriffsstutzigkeit des
Jungen angesteckt, versteht er jetzt selbst nicht, wie sie seinen
Erklärungen alles so schnell hatten entnehmen können.
Nun
zerren sie schon unten am Rock der Bedienerin, aber Blumfeld kann, so
verlockend es wäre, nicht länger zusehn, wie sie ihre Aufgabe
ausführen werden, und zwar nicht nur weil es schon spät ist,
sondern auch deshalb, weil er nicht zugegen sein will, wenn die Bälle
ins Freie kommen. Er will sogar schon einige Gassen weit entfernt
sein, wenn die Mädchen oben erst die Türe seines Zimmers öffnen.
Er weiß ja gar nicht, wessen er sich von den Bällen noch versehen
kann. Und so tritt er zum zweiten Mal an diesem Morgen ins Freie. Er
hat noch gesehen, wie die Bedienerin sich gegen die Mädchen förmlich
wehrt und der Junge die krummen Beine rührt, um der Mutter zu Hilfe
zu kommen. Blumfeld begreift es nicht, warum solche Menschen wie die
Bedienerin auf der Welt gedeihen und sich fortpflanzen.
Während
des Weges in die Wäschefabrik, in der Blumfeld angestellt ist,
bekommen die Gedanken an die Arbeit allmählich über alles andere
die Oberhand. Er beschleunigt seine Schritte und trotz der
Verzögerung, die der Junge verschuldet hat, ist er der erste in
seinem Büro. Dieses Büro ist ein mit Glas verschalter Raum, es
enthält einen Schreibtisch für Blumfeld und zwei Stehpulte für die
Blumfeld untergeordneten Praktikanten. Obwohl diese Stehpulte so
klein und schmal sind, als seien sie für Schulkinder bestimmt, ist
es doch in diesem Büro sehr eng und die Praktikanten dürfen sich
nicht setzen, weil dann für Blumfelds Sessel kein Platz mehr wäre.
So stehen sie den ganzen Tag an ihre Pulte gedrückt. Das ist für
sie gewiss sehr unbequem, es wird aber dadurch auch Blumfeld
erschwert, sie zu beobachten. Oft drängen sie sich eifrig an das
Pult, aber nicht etwa um zu arbeiten, sondern um miteinander zu
flüstern oder sogar einzunicken. Blumfeld hat viel Ärger mit ihnen,
sie unterstützen ihn bei weitem nicht genügend in der riesenhaften
Arbeit, die ihm auferlegt ist. Diese Arbeit besteht darin, dass er
den gesamten Waren- und Geldverkehr mit den Heimarbeiterinnen
besorgt, welche von der Fabrik für die Herstellung gewisser feinerer
Waren beschäftigt werden. Um die Größe dieser Arbeit beurteilen zu
können, muss man einen näheren Einblick in die ganzen Verhältnisse
haben. Diesen Einblick aber hat, seitdem der unmittelbare Vorgesetzte
Blumfelds vor einigen Jahren gestorben ist, niemand mehr, deshalb
kann auch Blumfeld niemandem die Berechtigung zu einem Urteil über
seine Arbeit zugestehn. Der Fabrikant, Herr Ottomar zum Beispiel,
unterschätzt Blumfelds Arbeit offensichtlich, er erkennt natürlich
die Verdienste an, die sich Blumfeld in der Fabrik im Laufe der
zwanzig Jahre erworben hat, und er erkennt sie an, nicht nur weil er
muss, sondern auch, weil er Blumfeld als treuen, vertrauenswürdigen
Menschen achtet, - aber seine Arbeit unterschätzt er doch, er glaubt
nämlich, sie könne einfacher und deshalb in jeder Hinsicht
vorteilhafter eingerichtet werden, als sie Blumfeld betreibt. Man
sagt, und es ist wohl nicht unglaubwürdig, dass Ottomar nur deshalb
sich so selten in der Abteilung Blumfelds zeige, um sich den Ärger
zu ersparen, den ihm der Anblick der Arbeitsmethoden Blumfelds
verursacht. So verkannt zu werden, ist für Blumfeld gewiss traurig,
aber es gibt keine Abhilfe, denn er kann doch Ottomar nicht zwingen,
etwa einen Monat ununterbrochen in Blumfelds Abteilung zu bleiben,
die vielfachen Arten der hier zu bewältigenden Arbeiten zu
studieren, seine eigenen angeblich besseren Methoden anzuwenden und
sich durch den Zusammenbruch der Abteilung, den das notwendig zur
Folge hätte, von Blumfelds Recht überzeugen zu lassen. Deshalb also
versieht Blumfeld seine Arbeit unbeirrt wie vorher, erschrickt ein
wenig, wenn nach langer Zeit einmal Ottomar erscheint, macht dann im
Pflichtgefühl des Untergeordneten doch einen schwachen Versuch,
Ottomar diese oder jene Einrichtung zu erklären, worauf dieser stumm
nickend mit gesenkten Augen weitergeht, und leidet im übrigen
weniger unter dieser Verkennung als unter dem Gedanken daran, dass,
wenn er einmal von seinem Posten wird abtreten müssen, die sofortige
Folge dessen ein großes, von niemandem aufzulösendes Durcheinander
sein wird, denn er kennt niemanden in der Fabrik, der ihn ersetzen
und seinen Posten in der Weise übernehmen könnte, dass für den
Betrieb durch Monate hindurch auch nur die schwersten Stockungen
vermieden würden. Wenn der Chef jemanden unterschätzt, so suchen
ihn darin natürlich die Angestellten womöglich noch zu übertreffen.
Es unterschätzt daher jeder Blumfelds Arbeit, niemand hält es für
notwendig, zu seiner Ausbildung eine Zeitlang in Blumfelds Abteilung
zu arbeiten, und wenn neue Angestellte aufgenommen werden, wird
niemand aus eigenem Antrieb Blumfeld zugeteilt. Infolgedessen fehlt
es für die Abteilung Blumfelds an Nachwuchs. Es waren Wochen des
härtesten Kampfes, als Blumfeld, der bis dahin in der Abteilung ganz
allein, nur von einem Diener unterstützt, alles besorgt hatte, die
Beistellung eines Praktikanten forderte. Fast jeden Tag erschien
Blumfeld im Büro Ottomars und erklärte ihm in ruhiger und
ausführlicher Weise, warum ein Praktikant in dieser Abteilung
notwendig sei. Er sei nicht etwa deshalb notwendig, weil Blumfeld
sich schonen wolle, Blumfeld wolle sich nicht schonen, er arbeite
seinen überreichlichen Teil und gedenke damit nicht aufzuhören,
aber Herr Ottomar möge nur überlegen, wie sich das Geschäft im
Laufe der Zeit entwickelt habe, alle Abteilungen seien entsprechend
vergrößert worden, nur Blumfelds Abteilung werde immer vergessen.
Und wie sei gerade dort die Arbeit angewachsen! Als Blumfeld eintrat,
an diese Zeiten könne sich Herr Ottomar gewiss nicht mehr erinnern,
hatte man dort mit etwa zehn Näherinnen zu tun, heute schwankt ihre
Zahl zwischen fünfzig und sechzig. Eine solche Arbeit verlangt
Kräfte, Blumfeld könne dafür bürgen, dass er sich vollständig
für die Arbeit verbrauche, dafür aber, dass er sie vollständig
bewältigen werde, könne er von jetzt ab nicht mehr bürgen. Nun
lehnte ja Herr Ottomar niemals Blumfelds Ansuchen geradezu ab, das
konnte er einem alten Beamten gegenüber nicht tun, aber die Art, wie
er kaum zuhörte, über den bittenden Blumfeld hinweg mit andern
Leuten sprach, halbe Zusagen machte, in einigen Tagen alles wieder
vergessen hatte, - diese Art war recht beleidigend. Nicht eigentlich
für Blumfeld, Blumfeld ist kein Phantast, so schön Ehre und
Anerkennung sind, Blumfeld kann sie entbehren, er wird trotz allem
auf seiner Stelle ausharren, so lange es irgendwie geht, jedenfalls
ist er im Recht, und Recht muss sich schließlich, wenn es auch
manchmal lange dauert, Anerkennung verschaffen. So hat ja auch
tatsächlich Blumfeld sogar zwei Praktikanten schließlich bekommen,
was für Praktikanten allerdings. Man hätte glauben können, Ottomar
habe eingesehn, er könne seine Missachtung der Abteilung noch
deutlicher als durch Verweigerung von Praktikanten durch Gewährung
dieser Praktikanten zeigen. Es war sogar möglich, dass Ottomar nur
deshalb Blumfeld so lange vertröstet hatte, weil er zwei solche
Praktikanten gesucht und sie, was begreiflich war, so lange nicht
hatte finden können. Und beklagen konnte sich jetzt Blumfeld nicht,
die Antwort war ja voraus zu sehn, er hatte doch zwei Praktikanten
bekommen, während er nur einen verlangt hatte; so geschickt war
alles von Ottomar eingeleitet. Natürlich beklagte sich Blumfeld
doch, aber nur weil ihn förmlich seine Notlage dazu drängte, nicht
weil er jetzt noch Abhilfe erhoffte. Er beklagte sich auch nicht
nachdrücklich, sondern nur nebenbei, wenn sich eine passende
Gelegenheit ergab. Trotzdem verbreitete sich bald unter den
übelwollenden Kollegen das Gerücht, jemand habe Ottomar gefragt, ob
es denn möglich sei, dass sich Blumfeld, der doch jetzt eine so
außerordentliche Beihilfe bekommen habe, noch immer beklage. Darauf
habe Ottomar geantwortet, es sei richtig, Blumfeld beklage sich noch
immer, aber mit Recht. Er, Ottomar, habe es endlich eingesehn und er
beabsichtige Blumfeld nach und nach für jede Näherin einen
Praktikanten, also im Ganzen etwa sechzig zuzuteilen. Sollten aber
diese noch nicht genügen, werde er noch mehr hinschicken und er
werde damit nicht früher aufhören, bis das Tollhaus vollkommen sei,
welches in der Abteilung Blumfelds schon seit Jahren sich entwickle.
Nun war allerdings in dieser Bemerkung die Redeweise Ottomars gut
nachgeahmt, er selbst aber, daran zweifelte Blumfeld nicht, war weit
davon entfernt, sich jemals auch nur in ähnlicher Weise über
Blumfeld zu äußern. Das Ganze war eine Erfindung der Faulenzer aus
den Büros im ersten Stock, Blumfeld ging darüber hinweg, - hätte
er nur auch über das Vorhandensein der Praktikanten so ruhig hinweg
gehn können. Die standen aber da und waren nicht mehr wegzubringen.
Blasse, schwache Kinder. Nach ihren Dokumenten sollten sie das
schulfreie Alter schon erreicht haben, in Wirklichkeit konnte man es
aber nicht glauben. Ja, man hätte sie noch einmal einem Lehrer
anvertrauen wollen, so deutlich gehörten sie noch an die Hand der
Mutter. Sie konnten sich noch nicht vernünftig bewegen, langes Stehn
ermüdete sie besonders in der ersten Zeit ungemein. Ließ man sie
unbeobachtet, so knickten sie in ihrer Schwäche gleich ein, standen
schief und gebückt in einem Winkel. Blumfeld suchte ihnen
begreiflich zu machen, dass sie sich für das ganze Leben zu Krüppeln
machen würden, wenn sie immer der Bequemlichkeit so nachgäben. Den
Praktikanten eine kleine Bewegung aufzutragen, war gewagt, einmal
hatte einer etwas nur ein paar Schritte weit bringen sollen, war
übereifrig hin gelaufen und hatte sich am Pult das Knie wund
geschlagen. Das Zimmer war voll Näherinnen gewesen, die Pulte voll
Ware, aber Blumfeld hatte alles vernachlässigen, den weinenden
Praktikanten ins Büro führen und ihm dort einen kleinen Verband
machen müssen. Aber auch dieser Eifer der Praktikanten war nur
äußerlich, wie richtige Kinder wollten sie sich manchmal
auszeichnen, aber noch viel öfters oder vielmehr fast immer wollten
sie die Aufmerksamkeit des Vorgesetzten nur täuschen und ihn
betrügen. Zur Zeit der größten Arbeit war Blumfeld einmal
schweißtriefend an ihnen vorüber gejagt und hatte bemerkt, wie sie
zwischen Warenballen versteckt Marken tauschten. Er hätte mit den
Fäusten auf ihre Köpfe niederfahren wollen, für ein solches
Verhalten wäre es die einzig mögliche Strafe gewesen, aber es waren
Kinder, Blumfeld konnte doch nicht Kinder totschlagen. Und so quälte
er sich mit ihnen weiter.
Ursprünglich
hatte er sich vorgestellt, dass die Praktikanten ihn in den
unmittelbaren Handreichungen unterstützen würden, welche zur Zeit
der Warenverteilung so viel Anstrengung und Wachsamkeit erforderten.
Er hatte gedacht, er würde etwa in der Mitte hinter dem Pult stehn,
immer die Übersicht über alles behalten und die Eintragungen
besorgen, während die Praktikanten nach seinem Befehl hin- und
herlaufen und alles verteilen würden. Er hatte sich vorgestellt,
dass seine Beaufsichtigung, die, so scharf sie war, für ein solches
Gedränge nicht genügen konnte, durch die Aufmerksamkeit der
Praktikanten ergänzt werden würde und dass diese Praktikanten
allmählich Erfahrungen sammeln, nicht in jeder Einzelheit auf seine
Befehle angewiesen bleiben und endlich selbst lernen würden, die
Näherinnen, was Warenbedarf und Vertrauenswürdigkeit anlangt,
voneinander zu unterscheiden. An diesen Praktikanten gemessen, waren
es ganz leere Hoffnungen gewesen, Blumfeld sah bald ein, dass er sie
überhaupt mit den Näherinnen nicht reden lassen durfte. Zu manchen
Näherinnen waren sie nämlich von allem Anfang gar nicht gegangen,
weil sie Abneigung oder Angst vor ihnen gehabt hatten, andern
dagegen, für welche sie Vorliebe hatten, waren sie oft bis zur Tür
entgegengelaufen. Diesen brachten sie, was sie nur wünschten,
drückten es ihnen, auch wenn die Näherinnen zur Empfangnahme
berechtigt waren, mit einer Art Heimlichkeit in die Hände, sammelten
in einem leeren Regal für diese Bevorzugten verschiedene
Abschnitzel, wertlose Reste, aber doch auch noch brauchbare
Kleinigkeiten, winkten ihnen damit hinter dem Rücken Blumfelds
glückselig schon von weitem zu und bekamen dafür Bonbons in den
Mund gesteckt. Blumfeld machte diesem Unwesen allerdings bald ein
Ende und trieb sie, wenn die Näherinnen kamen, in den Verschlag.
Aber noch lange hielten sie das für eine große Ungerechtigkeit,
trotzten, zerbrachen mutwillig die Federn und klopften manchmal, ohne
dass sie allerdings den Kopf zu heben wagten, laut an die
Glasscheiben, um die Näherinnen auf die schlechte Behandlung
aufmerksam zu machen, die sie ihrer Meinung nach von Blumfeld zu
erleiden hatten.
Das
Unrecht, das sie selbst begehn, das können sie nicht begreifen. So
kommen sie zum Beispiel fast immer zu spät ins Büro. Blumfeld, ihr
Vorgesetzter, der es von frühester Jugend an für selbstverständlich
gehalten hat, dass man wenigstens eine halbe Stunde vor Bürobeginn
erscheint, - nicht Streberei, nicht übertriebenes
Pflichtbewusstsein, nur ein gewisses Gefühl für Anstand veranlasst
ihn dazu, - Blumfeld muss auf seine Praktikanten meist länger als
eine Stunde warten. Die Frühstücksemmel kauend steht er gewöhnlich
hinter dem Pult im Saal und führt die Rechnungsabschlüsse in den
kleinen Büchern der Näherinnen durch. Bald vertieft er sich in die
Arbeit und denkt an nichts anderes. Da wird er plötzlich so
erschreckt, dass ihm noch ein Weilchen danach die Feder in den Händen
zittert. Der eine Praktikant ist hereingestürmt, es ist, als wolle
er umfallen, mit einer Hand hält er sich irgendwo fest, mit der
anderen drückt er die schwer atmende Brust - aber das Ganze bedeutet
nichts weiter, als dass er wegen seines Zuspätkommens eine
Entschuldigung vorbringt, die so lächerlich ist, dass sie Blumfeld
absichtlich überhört, denn täte er es nicht, müsste er den Jungen
verdienterweise prügeln. So aber sieht er ihn nur ein Weilchen an,
zeigt dann mit ausgestreckter Hand auf den Verschlag und wendet sich
wieder seiner Arbeit zu. Nun dürfte man doch erwarten, dass der
Praktikant die Güte des Vorgesetzten einsieht und zu seinem Standort
eilt. Nein, er eilt nicht, er tänzelt, er geht auf den Fußspitzen,
jetzt Fuß vor Fuß. Will er seinen Vorgesetzten verlachen? Auch das
nicht. Es ist nur wieder diese Mischung von Furcht und
Selbstzufriedenheit, gegen die man wehrlos ist. Wie wäre es denn
sonst zu erklären, dass Blumfeld heute, wo er doch selbst
ungewöhnlich spät ins Büro gekommen ist, jetzt nach langem Warten
- zum Nachprüfen der Büchlein hat er keine Lust - durch die
Staubwolken, die der unvernünftige Diener vor ihm mit dem Besen in
die Höhe treibt, auf der Gasse die beiden Praktikanten erblickt, wie
sie friedlich daherkommen. Sie halten sich fest umschlungen und
scheinen einander wichtige Dinge zu erzählen, die aber gewiss mit
dem Geschäft höchstens in einem unerlaubten Zusammenhange stehn. Je
näher sie der Glastür kommen, desto mehr verlangsamen sie ihre
Schritte. Endlich erfasst der eine schon die Klinke, drückt sie aber
nicht nieder, noch immer erzählen sie einander, hören zu und
lachen. 'Öffne doch unseren Herren', schreit Blumfeld mit erhobenen
Händen den Diener an. Aber als die Praktikanten eintreten, will
Blumfeld nicht mehr zanken, antwortet auf ihren Gruß nicht und geht
zu seinem Schreibtisch. Er beginnt zu rechnen, blickt aber manchmal
auf, um zu sehn, was die Praktikanten machen. Der eine scheint sehr
müde zu sein und reibt die Augen; als er seinen Überrock an den
Nagel gehängt hat, benützt er die Gelegenheit und bleibt noch ein
wenig an der Wand lehnen, auf der Gasse war er frisch, aber die Nähe
der Arbeit macht ihn müde. Der andere Praktikant dagegen hat Lust
zur Arbeit, aber nur zu mancher. So ist es seit jeher sein Wunsch,
auskehren zu dürfen. Nun ist das aber eine Arbeit, die ihm nicht
gebührt, das Auskehren steht nur dem Diener zu; an und für sich
hätte ja Blumfeld nichts dagegen, dass der Praktikant auskehrt, mag
der Praktikant auskehren, schlechter als der Diener kann man es nicht
machen, wenn aber der Praktikant auskehren will, dann soll er eben
früher kommen, ehe der Diener zu kehren beginnt, und soll nicht die
Zeit dazu verwenden, während er ausschließlich zu Büroarbeiten
verpflichtet ist. Wenn nun aber schon der kleine Junge jeder
vernünftigen Überlegung unzugänglich ist, so könnte doch
wenigstens der Diener, dieser halbblinde Greis, den der Chef gewiss
in keiner andern Abteilung als in der Blumfelds dulden würde und der
nur noch von Gottes und des Chefs Gnaden lebt, so könnte doch
wenigstens dieser Diener nachgiebig sein und für einen Augenblick
den Besen dem Jungen überlassen, der doch ungeschickt ist, gleich
die Lust am Kehren verlieren und dem Diener mit dem Besen nachlaufen
wird, um ihn wieder zum Kehren zu bewegen. Nun scheint aber der
Diener gerade für das Kehren sich besonders verantwortlich zu
fühlen, man sieht, wie er, kaum dass sich ihm der Junge nähert, den
Besen mit den zitternden Händen besser zu fassen sucht, lieber steht
er still und lässt das Kehren, um nur alle Aufmerksamkeit auf den
Besitz des Besens richten zu können. Der Praktikant bittet nun nicht
durch Worte, denn er fürchtet doch Blumfeld, welcher scheinbar
rechnet, auch wären gewöhnliche Worte nutzlos, denn der Diener ist
nur durch stärkstes Schreien zu erreichen. Der Praktikant zupft also
zunächst den Diener am Ärmel. Der Diener weiß natürlich, um was
es sich handelt, finster sieht er den Praktikanten an, schüttelt den
Kopf und zieht den Besen näher, bis an die Brust. Nun faltet der
Praktikant die Hände und bittet. Er hat allerdings keine Hoffnung,
durch Bitten etwas zu erreichen, das Bitten belustigt ihn nur und
deshalb bittet er. Der andere Praktikant begleitet den Vorgang mit
leisem Lachen und glaubt offenbar, wenn auch unbegreiflicherweise,
dass Blumfeld ihn nicht hört. Auf den Diener macht das Bitten nicht
den geringsten Eindruck, er dreht sich um und glaubt jetzt den Besen
in Sicherheit wieder gebrauchen zu können. Aber der Praktikant ist
ihm auf den Fußspitzen hüpfend und die beiden Hände flehentlich
aneinander reibend gefolgt und bittet nun von dieser Seite. Diese
Wendungen des Dieners und das Nachhüpfen des Praktikanten
wiederholen sich mehrmals. Schließlich fühlt sich der Diener von
allen Seiten abgesperrt und merkt, was er bei einer nur ein wenig
geringeren Einfalt gleich am Anfang hätte merken können, dass er
früher ermüden wird als der Praktikant. Infolgedessen sucht er
fremde Hilfe, droht dem Praktikanten mit dem Finger und zeigt auf
Blumfeld, bei dem er, wenn der Praktikant nicht ablässt, Klage
führen wird. Der Praktikant erkennt, dass er sich jetzt, wenn er
überhaupt den Besen bekommen will, sehr beeilen muss, also greift er
frech nach dem Besen. Ein unwillkürlicher Aufschrei des andern
Praktikanten deutet die kommende Entscheidung an. Zwar rettet noch
der Diener diesmal den Besen, indem er einen Schritt zurück macht
und ihn nachzieht. Aber nun gibt der Praktikant nicht mehr nach, mit
offenem Mund und blitzenden Augen springt er vor, der Diener will
flüchten, aber seine alten Beine schlottern statt zu laufen, der
Praktikant reißt an dem Besen, und wenn er ihn auch nicht erfasst,
so erreicht er doch, dass der Besen fällt und damit ist er für den
Diener verloren. Scheinbar allerdings auch für den Praktikanten,
denn beim Fallen des Besens erstarren zunächst alle drei, die
Praktikanten und der Diener, denn jetzt muss Blumfeld alles offenbar
werden. Tatsächlich blickt Blumfeld an seinem Guckfenster auf, als
sei er erst jetzt aufmerksam geworden, strenge und prüfend fasst er
jeden ins Auge, auch der Besen auf dem Boden entgeht ihm nicht. Sei
es, dass das Schweigen zu lange andauert, sei es, dass der schuldige
Praktikant die Begierde zu kehren nicht unterdrücken kann,
jedenfalls bückt er sich, allerdings sehr vorsichtig, als greife er
nach einem Tier und nicht nach dem Besen, nimmt den Besen, streicht
mit ihm über den Boden, wirft ihn aber sofort erschrocken weg, als
Blumfeld aufspringt und aus dem Verschlage tritt. 'Beide an die
Arbeit und nicht mehr gemuckst', schreit Blumfeld und zeigt mit
ausgestreckter Hand den beiden Praktikanten den Weg zu ihren Pulten.
Sie folgen gleich, aber nicht etwa beschämt mit gesenkten Köpfen,
vielmehr drehn sie sich steif an Blumfeld vorüber und sehn ihm starr
in die Augen, als wollten sie ihn dadurch abhalten, sie zu schlagen.
Und doch könnten sie durch die Erfahrung genügend darüber belehrt
sein, dass Blumfeld grundsätzlich niemals schlägt. Aber sie sind
überängstlich und suchen immer und ohne jedes Zartgefühl ihre
wirklichen oder scheinbaren Rechte zu wahren."
Schwul
wohl nicht...
Spritzende
Romantik
Und
was verspritzt du?
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